Ein unverheirateter, kinderloser 35-jähriger Roma aus einem ostslowakischen Slum wie Rocky, hat mit einem anderen gesellschaftlichen Druck zu kämpfen und verhält sich anders als ein gleichaltriger österreichischer Handwerker. Marcela, die selbst noch nie auf einer Rolltreppe gestanden hat macht sich wenig Gedanken über Influencer, Schminktechniken oder Weihnachten. Genauso verhält es sich mit allen anderen Protagonisten. Das einzige was alle Figuren in meinem Film verbindet, ist die Suche nach Liebe und Geborgenheit, dem Willen geliebt und akzeptiert zu werden. In gewisser Weise möchten sie alle aus der ihnen zugedachten Rolle, die ihnen von der patriarchalischen Machtstruktur aufgezwungen wurde ausbrechen und frei sein. Frei sein in der Wahl ihrer Partner und frei sein der Mensch zu sein, der sie gerne wären.
Nicht nur in Zerschlag mein Herz, sondern auch in der Slowakei ist dieser Wunsch unter den meisten Roma ein Kampf gegen Windmühlen. Die patriarchalischen Machtgebilde und die damit verbundene Rollenzuweisung sind tief verwurzelt in deren Kultur, bis heute. So unternehmen unsere Hauptfiguren zumindest den Versuch gegen die gesellschaftlichen Regeln zu rebellieren, scheitern jedoch auf voller Linie. Es war die Geschichte eines jungen Liebespaares aus der Ost-Slowakei die mich letztendlich dazu gebracht hat auch unseren Liebenden Pepe & Marcela das Glück der erfüllten Liebe zu verwehren. Ich sehe im selbst gewählten Freitod von Marcela und Pepe dennoch keine absolute Niederlage. Vor einigen Jahren musste ich ein Nahtod-Erlebnis erfahren. Ich kann mich nur noch an meine letzten Gedanken erinnern, bevor die Wellen mich mit sich trugen. Meine Gedanken waren so banal wie kitschig, so geradlinig, dass es fast erschreckend ist. „Warum habe ich ihm nicht öfter gesagt, dass ich ihn liebe?“.
Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich irgendwie zufrieden und auch befreit. Ich hatte bis dahin ein wundervolles Leben geführt und mehr oder weniger alles gelebt, wofür es sich zu leben lohnt. Ich war nicht wütend, ich war etwas betroffen, dass ich nun nicht mehr an dem schönen Leben teilhaben sollte dürfen. Und genauso sehe ich auch die letzte Entscheidung von Pepe und Marcela. In solchen Momenten, und das kann ich tatsächlich aus eigener Erfahrung sagen, ist man dankbar für alle Entscheidungen die man selbst getroffen hat. Pepe und Marcela haben Gefühle erfahren, die vielen Menschen verwehrt bleiben. Oft auch für mmer. Sie stammen aus einer Kultur in der intensiv gelebt wird. Sie lebten für die Liebe.
Das Casting fand mehr oder weniger durchgehend statt. Während der vielen recherchereisen konnten wir so viele Menschen kennenlernen, dass wir viele ihrer Geschichten, als auch sie selbst im Film wiederfinden. Ganz am Anfang hatten wir eine slowakische Casting-Agentur, die aber so Romafeindlich war und uns sonnengebräunte gadji (Nicht-Roma) geschickt hat mit der Ansage, sie wären zuverlässiger und besser, die Authentizität wäre hinten anzustellen, sodass wir uns nach kurzer Zeit von der Agentur getrennt haben. Simona Kovácˇ ová habe ich lustigerweise per Facebook gefunden. Ich habe mich durch unzählige Facebook Profilfotos durchgeforstet, beginnend mit der Sucheingabe eines klassischen Roma-Nachnamens. Sie war damals zwar erst 14 Jahre alt, hatte aber einen sehr natürlichen Zugang zur Kamera und ein Gespür für Szenen und die Figur der Marcela.
Roman Pokuta haben wir mit Hilfe unseres slowakischen Casters Juraj Baláž, der auch für Martin Šulíks Film CIGÁN Roma gecastet hat und bereits viel Erfahrung hatte, gefunden. Man darf sich die Castings nicht wie bei uns vorstellen. Die meisten haben weder Mail noch vertrauen sie einem offiziellen Castingaufruf. Das heißt, wir haben Schulen, Dörfer, Sportplätze, Musik- und Tanzschulen, Vereine etc. abgeklappert und direkt vor Ort diejenigen, die für die Rolle gepasst haben, gefragt, ob sie Lust und Zeit hätten. Die, die wollten, haben eine kleine Szene bekommen und hatten eine Woche Zeit sich auf das Casting vorzubereiten.
Ari Yehudit Richter, meine Regieassistentin und ich sind damals jede Woche in die Ostslowakei gereist und manchmal kam es vor, dass die Kandidaten, derentwegen wir gekommen waren, gar nicht erst aufgetaucht sind und das, obwohl wir per Facebook tagtäglich mit ihnen Kontakt hatten, oft auch noch eine Stunde vor Beginn des Castings. Dann hieß es meistens, wenn überhaupt: „Ich muss auf meinen Bruder aufpassen“ oder „Ich muss arbeiten.“ Das ist eben eine andere Mentalität. Als wir dann zufällig Roman auf einem Sportfest nahe des größten Slums in Richnava gesehen haben, war für mich klar: Der könnte es sein. Mit einem aggressiven Haarschnitt, Piercings, Lederjacke und rauchend hat sich hinter seiner Rüstung ein sensibler Teenager versteckt, der aber in seiner Siedlung nicht sensibel sein darf. Auch Roman hat eine kleine Szene bekommen, um sie vorzubereiten. Wir mussten Marek Horvath – einem Rom aus Romans Slum, mit dem unser Caster bereits bei CIGÁN zusammengearbeitet hat – Geld geben, damit er darauf schaut, dass Roman zum Casting kommt und sich die Haare nicht weiter rasiert. Nachdem klar war, dass Roman Pepe sein könnte, haben wir Simona und František Balog, der Rocky spielt und der einzige Rom in der gesamten Slowakei ist, der am Staatstheater eine Fixanstellung hat, dazu geholt, um zu schauen, wie sie harmonieren. Es gab damals noch einen zweiten Kandidaten für die Rolle von Pepe, aber als Simona in Romans Gegenwart total nervös geworden ist, war klar: Roman ist es.